Tagträume

Wer in diesen Tagen das Kunsthaus in Glarus betritt, taucht buchstäblich in eine andere Welt. Umspült von flaschengrünem Licht, findet man sich wieder in der Atmosphäre eines Aquariums als Alter ego eines photographisch anwesenden Seehundes, der auf den Grund seiner betonierten Behausung gleitet. Vom Meer kann er nur träumen. Damit sind wohl auch die Schwäne beschäftigt, die nebenan in regenbogenfarbigem Licht baden, kostbare Fabelwesen gleich in ihrer aus Altsilber gegossenen Gestalt. Die bronzenen Fledermäuse aber, die schlafend zu kleinen Kugeln geformt von der Decke des gegenüberliegenden Oberlichtsaales herabhängen, scheinen eher den Kopfgeburten der Besucher zuzuhören. Umhüllt von der Leere des Raumes, wachsen dem Geist in der Helligkeit des Tages Flügel, phantasiert das innere Auge die Perforation der Wand zu einem Sternenhimmel, dessen unendliche Weite den Sehnsüchten und Ängsten unbegrenzten Raum gibt. Voller Poesie, aber auch voller Abgründe sind die Installationen des jungen Roland Herzog (Jahrgang 1967), der in Glarus seine erste museale Einzelaustellung realisiert hat. Alltägliches und Mythisches, Einfaches und Kostbares verbinden sich in ihnen zu einem eigenen Reich, in dem das goldene Kalb der Bedeutung als Chamäleon entlarvt wird. Die Besucher finden in der stillen Leere dieser Räume nicht einfach eine neue Wunderwelt, sondern auch sich selbst in ihrer merkwürdigen Ambivalenz zwischen körperlichen Anwesenheit und geistiger Bewegung, Nähe und Verlorenheit – Zeit und Raum zum Sinnen und Spüren jenseits des lauten Schlachtengetümmels des Kulturbetriebs. Darin sind diese Arbeiten nicht einfach Weltflucht, sondern Kritik.

Ursula Sinnreich, NZZ, 7. August 1998

Kunsthaus Glarus, 31.Juli – 13. September 1998
Katalog
Roland Herzog, „Balsam“
(mit Texten von Beatrix Ruf und Anahita Krzyzanowski, deutsch/englisch, 48 Seiten, 36 Abbildungen), Kunsthaus Glarus und Andreas Züst Verlag, c/o Scalo Verlag, Glarus und Zürich 1998
CHF 28.00

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